Zuckerkonsum, Säuren & Karies: Mehr als nur Süßes
Teil 2: Wie Zuckerarten, pH-Wert und Gewohnheiten zusammenwirken – aus Sicht der biologischen Zahnmedizin
Thema der Blogreihe: Ernährung, Bewegung & Zahngesundheit – ganzheitlich betrachtet
Unsere Zähne leben in einem dynamischen Umfeld: Nach jedem Essen kippt der pH-Wert im Mund für kurze Zeit ins Saure. Das ist normal – entscheidend ist, wie tief der pH fällt und wie oft das passiert. Karies entsteht nicht durch „einmal Süßes“, sondern durch häufige pH-Abfälle plus eine Mundflora, die Zucker besonders gut in Säuren verwandelt. Darum geht es im Kern um Frequenz, Säurelast und Remineralisation – nicht nur um „Zucker = böse“.
Zucker ist nicht gleich Zucker – was im Mund wirklich zählt
Relevante Gruppen im Alltag (zahnbiologisch betrachtet):
Freie Zucker (Sukrose/Haushaltszucker, Glukose, Fruktose; auch in Sirupen & Säften) → rasch fermentierbar, pH fällt schnell.
Versteckte Zucker in Dressings, Aufstrichen, Müslis, „Fitness“-Riegeln, Joghurts, Drinks.
Stärke + Feinstmehl (Chips, Cracker, Weißmehlgebäck): im Mund teilweise schnell zu Zucker abgebaut – oft klebrig, bleibt lange an Fissuren.
Getrocknete Früchte & Honig: zuckerreich + klebrig → pH-Zeit im Saurem verlängert.
Zuckeraustauschstoffe
Xylit: kariogenes Bakterienwachstum wird gehemmt; als Kaugummi/Bonbon nach Mahlzeiten hilfreich.
Erythrit: kaum fermentierbar; neutral für Zähne.
💡 Problematischer als die Menge ist die Taktung: viele kleine Zuckerimpulse über den Tag halten den pH immer wieder im Risikobereich.
Säuren – die leise zweite Hälfte der Gleichung
Nicht nur Zucker, auch Säuren selbst lösen Mineralien aus dem Schmelz (Erosion) und bereiten Kariesbakterien ein leichteres Spiel.
Externe Säuren:
Softdrinks, Energy-Drinks, „Light“-Getränke, Saft & Saftschorle
Zitronen-/Limettenwasser, Essig-Shots, Kombucha (je nach Ansatz)
Sportgetränke, isotonische Drinks
Interne Säuren:
Reflux, häufiges Erbrechen, trockener Mund (wenig Speichel, Medikamente, Stress)
Puffer Nr. 1 ist der Speichel. Er neutralisiert, liefert Kalzium/Phosphat – benötigt dafür aber Zeit ohne Snacks/Drinks.
Was bedeutet das für den Alltag? – Ernährung
Mahlzeiten bündeln: 2–3 Hauptmahlzeiten, wenige Snacks.
Süßes andocken: Dessert direkt nach einer Mahlzeit, nicht solo.
Konsistenz nutzen: Knackiges/Rohkost fördert Speichelfluss.
Kombinieren: Wenn Trockenfrüchte, dann mit Nüssen/Saaten – weniger klebrig, pH-Puffer.
Getränke smart: Saure Drinks zügig trinken, Wasser nachspülen, dann 30–60 Min. Pause.
Essfenster: Intermittierendes Fasten (z. B. 12–16 Std. nachts) stabilisiert Stoffwechsel, Mikrobiom & pH-Rhythmus.
Mineralverfügbarkeit: Grünes, Hülsenfrüchte, Sesam/Tahini, Mandeln + Vitamin-D/K2-Status im Blick.
Viele Patient:innen berichten, dass bereits die Umstellung von „ständig etwas trinken/naschen“ auf klare Essensfenster spürbar hilft: Der Mund fühlt sich frischer an, Beläge nehmen ab. In der biologischen Zahnmedizin setzen wir genau hier an – bei Rhythmus & Regeneration statt bei Verboten.
Was bedeutet das für den Alltag? – Zahnpflege
Nach Saurem warten: 30–60 Minuten bis zum Putzen (der Schmelz ist kurzzeitig weicher).
Sanfte Technik: weiche Bürste, kleine Kreise, kein Druck.
Remineralisierende Pflege: z. B. Präparate mit Hydroxyapatit oder Kalzium/Phosphat; plus Xylit (Kaugummi/Bonbons) nach dem Essen.
Zunge & Zwischenräume: Zungenreinigung, Interdentalbürsten/Floss.
Speichel fördern: Kauen, trinken, bewusst atmen (Nasenatmung).
Individuelle Faktoren prüfen: Reflux, Mundtrockenheit, Medikamente – ggf. ärztlich/therapeutisch angehen.
Infobox: Xylit – Wirkung & Anwendung
Was ist es?
Ein Zuckeralkohol (natürlich vorkommend), süßt etwa 1:1 wie Zucker, aber wird von kariogenen Bakterien nicht verwertet.
Warum zahnfreundlich?
pH-Balance & Speichelfluss: Xylit fördert Speichel und stabilisiert den pH → Remineralisation wird begünstigt.
Karieshemmung: Adhärenz & Säureproduktion von S. mutans sinken.
Gute Alltagstauglichkeit: Süße ohne „Zucker-Futter“ für Karieskeime.
Verträglichkeit & Sicherheit
Magen-Darm: in hohen Mengen osmotisch (Blähungen – langsam steigern).
Haustiere: Xylit ist für Hunde hochtoxisch → strikt fernhalten!
Für Menschen: niedrige glykämische Last (auch bei Insulinresistenz meist gut geeignet).
Häufige Missverständnisse – kurz geklärt
„Ein Schluck Saft zwischendurch ist harmlos.“ – Viele kleine Schlucke sind problematisch; besser zu einer Mahlzeit.
„Light-Getränke sind zahnsicher.“ – Weniger Zucker, aber oft sauer → Erosionsrisiko bleibt.
„Direkt nach dem O-Saft putzen schützt.“ – Im Gegenteil: kurz warten.
„Nur Süßes macht Karies.“ – Auch Mehle/Chips liefern schnell fermentierbare Kohlenhydrate.
„Viel putzen = viel hilft.“ – Technik, Timing, Zwischenräume und pH-Pausen sind wichtiger.
Aus der Praxis
„Die deutlichste Veränderung sehen wir, wenn Patient:innen ihre Snack-Frequenz senken und Süßes an Mahlzeiten andocken. In Kombination mit Xylit und 30–60 Minuten Putz-Pause nach Saurem beruhigen sich pH-Kurven sichtbar.“
Ausblick auf Teil 3
Wir widmen uns der Mundflora: Welche Lebensmittel und Routinen stärken die „guten“ Bakterien, wie interagiert der Darm – und welche Rolle spielen Fermente & Polyphenole?
Weiterlesen:
Hinweis
Dieser Beitrag bietet allgemeine Informationen und ersetzt keine individuelle Beratung. Bei bestehenden Beschwerden oder speziellen Ernährungsformen (z. B. pflanzenbasiert, Schwangerschaft, Stoffwechsel‑Erkrankungen) beraten wir Sie gern individuell.
💡 Hinweis zur individuellen Beratung
Wir freuen uns, dass unsere Blogbeiträge Ihnen wertvolle Einblicke in die biologische Zahnmedizin geben. Bitte beachten Sie jedoch, dass diese Informationen eine individuelle zahnärztliche Beratung nicht ersetzen können.
Da eine fundierte Einschätzung immer eine persönliche Untersuchung und eine vollständige Befundaufnahme erfordert, können wir per E-Mail keine medizinischen Diagnosen oder Behandlungsempfehlungen geben. Vielen Dank für Ihr Verständnis!